MASKE AB
WENN MENSCHEN TIERE SIND UND DOCH SO VIEL MEHR ...
Birte Brunner
7/25/20252 min lesen


Wie würden wir Menschen miteinander umgehen, wenn wir Tiere wären?
Wenn wir die Masken ablegen müssten, die wir uns täglich überstülpen – Höflichkeit, Status, Erwartungen?
Wenn wir uns begegneten wie Wölfe, Krähen, Elefanten, Delfine – direkt, klar, ohne Umwege?
Vielleicht wäre vieles einfacher.
Ein Hund zeigt Freude. Eine Katze zeigt Grenzen.
Elefanten zeigen Trauer. Wölfe zeigen Fürsorge.
Alles ist sichtbar, nichts wird verkleidet.
Doch Tiere können auch grausam sein. Delfine töten Jungtiere, Löwen vertreiben Rivalen, Krähen mobben Schwächere. Egoismus, Gewalt, Härte – sie sind Teil der Natur. Aber: Tiere handeln aus Instinkt, nicht aus Bosheit. Ihre Grausamkeit ist zweckgebunden, nie kalkuliert.
Und wir? Wir tragen beides in uns. Denn wir sind selbst Tiere – nur mit Bewusstsein. Wir sind die Erben der Primaten:
Von den Schimpansen kommt unser Hang zu Rangordnung, Wettbewerb, Aggression.
Von den Bonobos unsere Fähigkeit zur Kooperation, Nähe, Konfliktlösung durch Gemeinschaft.
Unsere frühen Vorfahren überlebten durch beides: durch Machtkämpfe und durch Teilen. Dieses Erbe lebt weiter in uns – im Ringen um Status im Büro ebenso wie im Trost, den wir in Freundschaften suchen.
Die Frage ist also: Steckt noch zu viel Tier in uns?
Zu viel von der Schimpansen-Seite, die drängt, kämpft, sich durchsetzt – und zu wenig von der Bonobo-Seite, die teilt, besänftigt, verbindet?
Wir bauen Kriege, wo Kooperation möglich wäre. Wir häufen Besitz, wo Teilen nötig wäre. Wir werten aus, wo Anerkennung heilen könnte.
Doch genau hier liegt unser Unterschied.
Wir sind Tiere – ja.
Aber wir sind Tiere mit Verstand.
Und dieser Verstand ist nicht nur Werkzeug, er ist Geschenk.
Er erlaubt uns, über den Instinkt hinauszugehen, uns zu entscheiden, nicht nur zu überleben, sondern bewusst zu gestalten.
Mit diesem Geschenk kommt Verantwortung:
Für uns selbst, für andere – und für die Welt.
Die Natur ist nicht Rohstoff, nicht Lager, nicht endloses Reservoir. Sie ist der Boden, auf dem wir stehen, die Luft, die wir atmen, das Netz, das uns erhält.
Unser Verstand verpflichtet uns, sie nicht länger nur zu nutzen, sondern sie zu schützen. Wir sind nicht Herren der Natur, sondern Hüter. Nicht Besitzer, sondern Teilhaber.
Vielleicht sind wir nicht zu sehr Tier, sondern zu einseitig.
Wir haben den Teil unserer Herkunft verstärkt, der uns trennt – und den Teil verlernt, der uns verbindet. Unsere Rettung liegt nicht im Abstreifen des Tierischen.
Sie liegt im Erinnern. Daran, dass wir im Kern beides sind:
Rudeltiere mit dem Instinkt zur Kooperation und mit dem Drang nach Dominanz. Bewusstsein bedeutet, wählen zu können – und die Verantwortung, diese Wahl achtsam zu treffen.
Wenn wir uns wieder für das Miteinander entscheiden –
für das Teilen, das Schützen, das Sprechen in klaren Gesten – dann ist das kein Rückschritt in die Tierwelt.
Es ist ein Schritt in unsere wahre Menschlichkeit.
Denn das Tier in uns ist nicht unser Feind.
Es ist unser Spiegel. Die Frage ist nicht, ob wir zu viel Tier in uns tragen –
sondern, ob wir gelernt haben, unser Geschenk des Verstandes zu nutzen, um nicht auszubeuten, sondern zu bewahren.
Wenn wir das begreifen, sind wir nicht länger Jäger unserer Welt – sondern ihre Hüter.